Quantitative Sozialforschung
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Theorie und Empirie des Zigarettenkonsums

Obwohl die Anfänge des Tabakrauchens in Europa bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen, war lange Zeit nichts über die gesundheitlichen Risiken des Zigarettenkonsums bekannt. Erst Mitte der 60er Jahre konnten medizinische Studien belegen, dass Raucher öfter an Lungenkrebs erkranken und nicht zuletzt deshalb auch früher sterben. Seitdem stellt man sich in der Wissenschaft die Frage, warum denn überhaupt noch Menschen rauchen.

Ein wesentlicher Fortschritt des Projekts besteht darin, den Rückschluss von den Eigenschaften von Rauchern und Nichtrauchern auf die Ursachen des Zigarettenrauchens (Prävalenzmodelle) grundsätzlich als problematisch anzusehen. Der Grund dafür ist, dass sich das Rauchverhalten empirisch trennscharf in die Phase des Rauchbeginns, den Konsumverlauf und die Phase der Rauchentwöhnung untergliedern lässt. Somit repräsentieren die Eigenschaften aktueller Raucher nicht zwangsläufig Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit zu rauchen beeinflussen. Auch wenn diese Einsicht nicht ganz neu ist, weisen vorhandene Studien, die sich z. B. ausschließlich mit dem Raucheinstieg auseinandersetzen, meistens gravierende Probleme auf.

Eines dieser Probleme besteht darin, dass mögliche Einflussfaktoren nicht im Zusammenhang mit der jeweiligen Änderung des Rauchverhaltens erhoben werden. Statt zu fragen: „Was war eigentlich, als Sie mit dem Rauchen begonnen haben?“ bzw. für Nichtraucher: „Was war eigentlich, als Gleichaltrige aus Ihrem sozialen Umfeld mit dem Rauchen begonnen haben?“, werden Faktoren wie Bildung, Freizeitverhalten und Rauchverhalten der Eltern erst im Nachhinein mit dem Rauchbeginn in Zusammenhang gebracht. Deshalb wurden im Rahmen des Projekts deutschlandweit über 2.007 Raucher, Ex-Raucher und Nichtraucher retrospektiv zu ihren Rauchgewohnheiten befragt. Ausgehend von der jeweiligen Änderung des Rauchverhaltens konnten so adäquate Erklärungsfaktoren erhoben werden.

Ein großes Problem bisheriger Theorien zum Rauchverhalten besteht darin, dass sie „soziodynamische Ursachen“ als wesentliche Erklärungsfaktoren identifizieren. Peter raucht, weil sein bester Freund Dieter raucht. Dieter raucht, weil seine Eltern rauchen und Dieters Eltern rauchen, weil ihre besten Freunde damals auch alle geraucht haben. Weil ein derartiges „Imitationsprinzip“ letztendlich zirkulär ist, wurde im Rahmen des Projekts eine etwas andere Herangehensweise gewählt.

Demnach handelt es sich beim Rauchen um ein jugendtypisches Verhalten, das prinzipiell für alle Jugendlichen eine gewisse Attraktivität besitzt. Rauchen werden jedoch vorwiegend diejenigen, denen dieses Verhalten keine allzu großen Kosten verursacht. Solche Modelle wurden sowohl für den Einstieg als auch für die Entwöhnungsabsicht und den Erfolg von Entwöhnungsversuchen spezifiziert und mit den erhobenen Daten getestet. Herausgestellt hat sich dabei, dass Rauchverbote seitens der Eltern, durchschnittliche Zigarettenpreise und das Budget (Taschengeld) wesentliche Erklärungsfaktoren für den Raucheinstieg sind.

Für die Entwöhnungsabsicht ist es dagegen der (Ehe-)Partner, der den Raucher entweder bestärkt oder sanktioniert. Darüber hinaus wirkt auch der subjektive Gesundheitszustand, sofern er aus der Sicht des Rauchers mit dem Rauchverhalten in Zusammenhang gebracht wird, als Kostenfaktor. Ähnlich sieht es mit dem Erfolg von Entwöhnungsversuchen aus. Auch hier spielt neben dem Grad der Abhängigkeit vor allem die Einstellung des (Ehe-)Partners eine große Rolle.

Methodische Vorgehensweise: Methodisch stand bei dem Projekt eine eigene telefonische Befragung von 2.007 Rauchern und Nichtrauchern im Vordergrund, die im Sommer 2008 von einem kommerziellen Umfrageinstitut (SIM in Kopperation mit dem ForschungsWerk Nürnberg) durchgeführt wurde. Ergänzt wurde diese Datenquelle durch zahlreiche Sekundärdatensätze auf der Individual- und Aggregatebene.

Neben der Beurteilung der Validität der eigenen Erhebung sollte diese Vorgehensweise vor allem Aussagen über zeitliche Entwicklungen im Rauchverhalten sowie länderspezifische Unterschiede ermöglichen. Darüber hinaus wurden jedoch auch allgemeine, theoretische Fragestellungen verfolgt, auf die es ebenfalls im Rahmen quantitativer Analysen eine Antwort zu finden galt.

Untersuchungsdesign: Querschnitt

Datengewinnung: Standardisierte telefonische Befragung; Stichprobe: 2.007 deutsche Raucher und Nichtraucher ab 18 Jahren; Besonderheit: Erfassung des Rauchverhaltens von Antwortverweigerern durch Kurzbefragung (N = 569); Auswahlverfahren: Zufallsstichprobe nach dem Häder-Gabler-Design.

 

Projektbetreuer: Thomas Wimmer

Studentische Hilfskräfte: Rudi Farys, Norbert Schöning, Thorsten Schnapp

Zusammenfassung zum Abschlussbericht

Vortrag an der Europäischen Akademie Berlin vom 20.10.2014