Quantitative Sozialforschung
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Mehr Zuwanderung, mehr ethnische Diskriminierung?

Eine Studie von Katrin Auspurg, Renate Lorenz und Andreas Schneck, die nun in Sociological Science erschienen ist, kommt zu überraschenden Antworten.

17.10.2023

Mehr Zuwanderung, mehr ethnische Diskriminierung?
Eine Studie von Katrin Auspurg, Renate Lorenz und Andreas Schneck untersucht diese Frage mit Daten zur Europäischen „Flüchtlingskrise“ und wurde nun in Sociological Science publiziert

Verstärkt Masseneinwanderung ethnische Diskriminierung? Nach gängigen Theorien ist das der Fall, aber es fehlen bislang aussagekräftige Studien, die nicht nur fremdenfeindliche Einstellungen sondern auch Handlungen (Diskriminierung) messen. Eine Untersuchung dieser Frage ist nicht zuletzt für die Integrationschancen von Zugewanderten wichtig.
In ihrer in Sociological Science publizierten Studie nutzen Katrin Auspurg, Renate Lorenz und Andreas Schneck die Masseneinwanderung von Flüchtlingen nach Deutschland im Jahr 2015, um die Auswirkung auf ethnische Diskriminierung von Personen mit türkischem Migrationshintergrund auf dem Deutschen Mietwohnungsmarkt zu untersuchen. Dabei können die Autor*innen ein besonders verlässliches Design nutzen: Ein Feldexperiment, das kurz vor und während der Flüchtlingszuwanderung mit genau der gleichen Methodik durchgeführt wurde. An ca. 5.000 Wohnungs-Inserate wurden E-Mail Anfragen verschickt: jeweils pro Wohnung eine Anfrage von einem männlichen Interessenten mit türkischem Namen und Account, und eine von einem männlichen Interessenten mit deutschem Namen und Account. Da zu beiden Beobachtungszeitpunkten (vor und während der „Flüchtlingskrise“) exakt gleich vorgegangen wurde, sind mögliche Änderungen im Ausmaß der Ungleichbehandlung (Diskriminierung) sehr sicher auf die zwischenzeitlich stattgefundene Zuwanderung zurückzuführen.
Die Ergebnis ist überraschend: Wie erwartet, wurden E-Mail-Anfragen von deutschen Interessenten häufiger positiv beantwortet, was als Anzeichen für ethnische Diskriminierung gilt (erschwerter Wohnungszugang für türkische Personen: in 14-15% der Fälle wurde nur die E-Mail des Deutschen, in 4-5% der Fälle nur die E-Mail des Türken beantwortet, was eine sogenannte „Nettodiskriminierung“ von 10 Prozentpunkten ergibt). Aber hat sich das Ausmaß der so gemessenen Diskriminierung während des unerwarteten Flüchtlingszustroms verstärkt? Erstaunlicherweise nein! Die Net-to-Diskriminierungsraten liegen zu beiden Messzeitpunkten („wave 1“ vs. „wave 2“) gleich auf (s. untenstehende Abbildung). Türken hatten es auch zum zweiten Messzeitpunkt während der starken Flüchtlingszuwanderung schwerer, eine Einladung zu einer Wohnungsbesichtigung zu erhalten. Aber die Zuwanderung (und auch die mit ihr verbundenen, kritischen Mediendiskussionen der „Flüchtlingskrise“) haben der Studie zufolge das Ausmaß an Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt nicht verschärft.

Abbildung 1. Messzeitpunkte und beobachtetes Ausmaß an Diskriminierung

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SoScience2023-abbdeanmerkungen

Das unveränderte Ausmaß der Diskriminierung gilt dabei sogar für Regionen in Ostdeutschland, die bisher wenig an Zuwanderung gewöhnt waren und für die daher etlichen Theorien zufolge besonders starke Effekte zu vermuten waren.

Insgesamt zeigt die Studie somit, dass ein Anstieg der Zuwanderung und fremdenfeindlicher Einstellungen (wie sie während der Flüchtlingskrise in Deutschland beobachtet wurden) nicht unbedingt zu mehr Diskriminierung führen, was bisherige Annahmen in Frage stellt. Weitere Implikationen und Details zur Studie finden Sie in der Publikation:

Katrin Auspurg, Renate Lorenz und Andreas Schneck (2023): Does Unprecedented Mass Immigra-tion Fuel Ethnic Discrimination? A Two-Wave Field Experiment in the German Housing Market. So-ciological Science October 10, 2023; 10.15195/v10.a23 (https://sociologicalscience.com/articles-v10-23-640/)