Quantitative Sozialforschung
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Studie zum 9-Euro-Ticket

24.10.2023

Eine gerade erschiene Studie zum 9-Euro-Ticket von Katrin Auspurg, Christiane Bozoyan, Claudia Schmiedeberg, Fabian Thiel und Kollegen zeigt:

Finanzielle Entlastung für Menschen mit geringem Einkommen und Umstiege auf den umweltfreundlicheren ÖPNV – aber nur dort, wo Verbindungen mit Bus und Bahn als hinreichend gut eingestuft werden


Zentrale Ergebnisse unserer deutschlandweiten Online-Befragung im Juli 2022: Vor allem Menschen aus niedrigen Einkommensgruppen besaßen das 9-Euro-Ticket. Dabei schränkte die schlechte Qualität des ÖPNV auf dem Land die Nutzung ein. Nach Angaben der Befragten ersetzte der ÖPNV im Gültigkeitszeitraum des Tickets 7% der Autofahrten zur Arbeit. Ergebnisse dazu, unter welchen Bedingungen das eher geschah, und weitere Forschungsergebnisse finden Sie im Detail hier.

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Mittlere Anteile mit Besitz des 9-Euro-Tickets nach Gruppen (Punktschätzer mit 95%-Konfidenzintervallen) und insgesamt (gestrichelte Referenzlinie). Anmerkungen: Balken über (unter) dieser Linie zeigen einen überdurchschnittlich (unterdurchschnittlich) häufigen Besitz an, die 95%-Konfidenzintervalle weisen darauf hin, ob sich Gruppen signifikant vom Mittelwert unterscheiden. N = 1347 Befragte.

Das 9-Euro-Ticket erhielt im Sommer 2022 viel Aufmerksamkeit: Für drei Monate waren Bus und Bahn deutschlandweit fast kostenlos nutzbar. Mit dieser Subvention reagierte die Bundesregierung auf die Preissteigerungen der „Gas-Krise“ und wollte gleichzeitig die Nutzung des ÖPNV ankurbeln, der sich noch nicht vom Einbruch der Fahrgastzahlen in der COVID-19-Pandemie erholt hatte.
Für eine Bewertung der Maßnahme ist es wichtig zu verstehen, welche Bevölkerungsgruppen von dem niedrigen Preis besonders profitierten und wofür das Ticket genutzt wurde. Die LMU-Wissenschaftler:innen Prof. Dr. Katrin Auspurg, Dr. Christiane Bozoyan, Dr. Claudia Schmiedeberg und Dr. Fabian Thiel haben zusammen mit Prof. Dr. Henning Best (RPTU Kaiserslautern-Landau) und Prof. Dr. Andreas Diekmann (ETH Zürich und Universität Leipzig) im Juli 2022 eine Online-Befragung zum 9-Euro-Ticket durchgeführt. Sie fragten rund 1300 Personen, ob sie das 9-Euro-Ticket im Juni gekauft oder über ein Abonnement wie z.B. ein Job-Ticket erhalten haben, wofür sie es nutzen und ob sie damit zur Arbeit oder Ausbildungsstätte gefahren sind.
Die Ergebnisse zeigen deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen: Menschen in Haushalten mit geringem Einkommen besaßen das Ticket besonders oft, sowohl aufgrund eines Abonnements als auch durch Kauf. In der Hinsicht wurde die angestrebte finanzielle Entlastung erreicht. Zugleich finden sich deutliche Stadt-Land-Unterschiede, da das Ticket auf dem Land, insbesondere in Regionen mit als schlecht empfundener ÖPNV-Anbindung, weniger verbreitet war.

In beiden Dimensionen finden sich auch Unterschiede hinsichtlich der Pendelmobilität: Menschen mit geringem Einkommen nutzten das 9-Euro-Ticket häufiger, um das Auto stehen zu lassen und mit Bus oder Bahn zur Arbeit zu fahren. Dagegen stiegen Menschen auf dem Land für den Arbeitsweg tendenziell seltener vom Auto auf den ÖPNV um. Insgesamt nahm unter den Befragten im Juni 2022 die Autonutzung auf Pendelwegen im Vergleich zum Vormonat um knapp 7 Prozentpunkte ab, d.h. im Gültigkeitszeitraum des 9-Euro-Tickets wurden Autofahrten zur Arbeit oder Ausbildungsstätte durch den ÖPNV ersetzt.
Insgesamt zeigt die Studie somit: Ein kostengünstiger ÖPNV kann merkliche Anteile der Bevölkerung zu Umstiegen auf den umweltfreundlicheren Nahverkehr bewegen; aber das nur, wenn die Erreichbarkeit von Zielen mit öffentlichen Nahverkehrsmitteln als ausreichend gut eingeschätzt wird. Es ist also nicht die andere Bevölkerungszusammensetzung auf dem Land, sondern die dort wahrgenommene geringe Qualität des ÖPNV, die selbst bei sehr geringen Preisen deutlich von seiner Nutzung abhält.

Die vollständige Publikation in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie ist hier abrufbar.